Fall V ZR 48/23 hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 27. September 2024 ein Urteil in einem Rechtsstreit zwischen geschiedenen Eheleuten gefällt, bei dem es um die Ausübung von Vorkaufsrechten und Wohnungseigentum ging. Die Parteien hatten sich im Rahmen ihrer Scheidung auf die Aufteilung ihres gemeinsamen Hauses in in drei Wohnungen geeinigt. Die Klägerin erhielt eine Wohnung und der Beklagte zwei Wohnungen, wobei die Klägerin ein dingliches Vorkaufsrecht für eine der Wohnungen des Beklagten eingeräumt bekam.
Im2019 verkaufte der Beklagte seine beiden Wohnungen, einschließlich der Wohnung, für die die Klägerin ein Vorkaufsrecht besaß, an Dritte. Der Mieter dieser Wohnung übte ebenfalls ein Vorkaufsrecht aus, und trotz der Ausübung ihres eigenen Vorkaufsrechts durch die Klägerin wurde der Mieter als neuer Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Klägerin forderte daraufhin mittels Klage die Auflassung der Wohnung zu ihren Gunsten und weiterhin Schadenersatz für entgangene Mieten und Nutzungsentschädigungen.
Das Oberlandesgericht Dresden wies die Klage der Klägerin überwiegend zurück und erkannte lediglich Ansprüche auf Schadenersatz für entgangene Mieten an. Der BGH hob jedoch dieses Urteil teilweise auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück an das Oberlandesgericht.
Der BGH stellte fest, dass das dingliche Vorkaufsrecht der Klägerin wirksam ausgeübt wurde und dem gesetzlichen Vorkaufsrecht des Mieters vorgeht, da es zu Gunsten eines Familienangehörigen bestellt wurde. Die Klägerin konnte ihr Vorkaufsrecht fristgerecht ausüben und das Gericht betonte, dass die zeitliche Reihenfolge der Ausübung der Vorkaufsrechte nicht relevant sei. Der Mieter hatte zwar sein Vorkaufsrecht ebenfalls fristgerecht ausgeübt, jedoch genießt das Vorkaufsrecht der Klägerin Vorrang, weil es bereits vor der Vermietung der Wohnung an den Mieter bestand.
Der BGH kritisierte das Oberlandesgericht für die Annahme, das Vorkaufsrecht des Mieters hätte Vorrang. Dies widerspricht der Intention des Gesetzgebers, der Verkäufe an nahestehende Personen (wie Familienangehörige) vom Vorkaufsrecht des Mieters ausnehmen wollte. Daher erklärte der BGH die Entscheidungen des Oberlandesgerichts in Bezug auf die Nichtzustimmung des Kaufvertrags und die damit verbundenen weiteren Ansprüche als fehlerhaft. Der Fall wurde zur weiteren Beweisaufnahme und Prüfung zurückverwiesen, um zu klären, ob weitere Ansprüche der Klägerin bestehen, einschließlich des Anspruchs auf Auflassung der Wohnung.
Was ist ein dingliches Vorkaufsrecht?
Das dingliche Vorkaufsrecht ist ein im Grundbuch eingetragenes Recht, das einer bestimmten Person, meist einem Familienangehörigen, das Vorrecht einräumt, eine Immobilie zu kaufen, falls der Eigentümer diese an einen Dritten verkauft. Wenn der Eigentümer die Immobilie veräußert, kann die Person mit dem Vorkaufsrecht zu den gleichen Bedingungen in den Kaufvertrag eintreten. Es schützt den Berechtigten vor einem Verkauf an andere Käufer und gilt im Unterschied zum gesetzlichen Vorkaufsrecht aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung.
Im Urteil des Bundesgerichtshofs (V ZR 48/23) gibt es einige interessante Aspekte, die über das Vorkaufsrecht hinausgehen und für rechtliche Auseinandersetzungen in ähnlichen Konstellationen relevant sind:
1. Vorrang des Familienangehörigen-Vorkaufsrechts: Der BGH stellt klar, dass das dingliche Vorkaufsrecht, das für einen Familienangehörigen bestellt wurde, auch dann Vorrang vor dem gesetzlichen Vorkaufsrecht eines Mieters hat, wenn es erst nach der Vermietung der Wohnung bestellt wurde. Dies betont die gesetzgeberische Absicht, Familienangehörige besonders zu schützen und sie wertungsmäßig gegenüber einem Verkauf direkt an den Mieter gleichzustellen.
2. Begriff des „Familienangehörigen“: Interessant ist auch, dass der BGH geschiedene Ehepartner weiterhin als „Familienangehörige“ im Sinne des § 577 BGB ansieht. Dies ist eine weite Auslegung, die in der Praxis bedeutsam sein kann, da sie eine besondere Schutzposition für geschiedene Ehepartner schafft, auch nachdem die Ehe offiziell beendet ist.
3. Löschung des Vorkaufsrechts und die Vormerkungswirkung: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Feststellung des BGH, dass die Vormerkungswirkung eines dinglichen Vorkaufsrechts auch durch eine zu Unrecht erfolgte Löschung des Vorkaufsrechts im Grundbuch nicht aufgehoben wird. Dies bedeutet, dass die Klägerin trotz der Löschung ihres Vorkaufsrechts weiterhin einen Anspruch auf die Auflassung der Wohnung hat. Die Vormerkungswirkung sichert also die Rechtsposition der Berechtigten, auch wenn es zu Fehlern im Grundbuch kommt.
4. Kollidierende Vorkaufsrechte: Der Fall verdeutlicht, wie das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Vorkaufsrechten geregelt ist, insbesondere wenn ein gesetzliches Vorkaufsrecht (hier: des Mieters) und ein vertraglich vereinbartes dingliches Vorkaufsrecht kollidieren. Der BGH entscheidet zugunsten des dinglichen Vorkaufsrechts, was für die Rechtspraxis wichtig ist, da es zeigt, dass vertraglich eingeräumte Rechte im Zweifel stärker sein können als gesetzliche Vorkaufsrechte.
5. Neubewertung durch das Berufungsgericht: Der BGH hat das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden aufgehoben und den Fall zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Das bedeutet, dass das Berufungsgericht weitere Feststellungen treffen muss, insbesondere zur Frage, ob der Auflassungsanspruch der Klägerin tatsächlich besteht. Diese Rückverweisung zeigt, dass die Instanzgerichte sehr genau die Voraussetzungen für das Zustandekommen von Kaufverträgen und die Ausübung von Vorkaufsrechten prüfen müssen.
Fazit: BGH setzt neue Maßstäbe bei Vorkaufsrechten
Diese Punkte machen das Urteil sowohl für Eigentümer als auch für Mieter von besonderem Interesse, da es die rechtlichen Rahmenbedingungen für Vorkaufsrechte klarstellt und das Zusammenspiel zwischen Mieterschutz und Eigentumsrechten differenziert beleuchtet.