Es zieht am Fenster, die Scheibe beschlägt, der Rahmen sitzt nicht sauber – und das schon seit dem Kauf der Wohnung. Viele Wohnungseigentümer stellen sich dann dieselbe Frage: Trägt die Eigentümergemeinschaft die Kosten der Instandsetzung am Gemeinschaftseigentum oder muss der einzelne Eigentümer zahlen? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 23.05.2025 (Az. V ZR 36/24) eine klare Linie gezogen: Eine entsprechende Regelung in der Gemeinschaftsordnung kann bedeuten, dass auch anfängliche Mängel – also Baumängel von Beginn an – vom jeweiligen Eigentümer zu tragen sind, etwa bei Fenstern.
Kurz gesagt
Wenn die Gemeinschaftsordnung festlegt, dass einzelne Eigentümer die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung bestimmter Bauteile im Bereich ihres Sondereigentums tragen (z. B. Fensterstöcke, Fensterrahmen, Fensterscheiben), umfasst das nach dem BGH im Zweifel auch die Beseitigung anfänglicher Mängel.
Worum ging es im Fall?
In einer Münchner Wohnanlage gab es von Anfang an Baumängel. Die Versammlung beschloss eine Sonderumlage nach Miteigentumsanteilen, um die Mängel am Gemeinschaftseigentum – darunter Fenster – zu beseitigen. Die Gemeinschaftsordnung enthielt jedoch seit 2004 eine abweichende Kostenregel: Jede/r Sondereigentümer/in trägt die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung bestimmter Bauteile, ausdrücklich genannt: Fensterstöcke, Fensterrahmen, Fensterscheiben. Gegen die Umlage wurde geklagt – erfolgreich.
Die Kernaussage des BGH (V ZR 36/24)
- Eine Vereinbarung in der GemeinschaftsordnungVereinbarung in der Gemeinschaftsordnung, die die Kosten für bestimmte Teile des Gemeinschaftseigentums (im räumlichen Bereich des Sondereigentums) einzelnen Eigentümern zuweist, erfasst im Zweifel auch anfängliche Baumängel.
- Eine Sonderumlage nach Miteigentumsanteilen ist in solchen Fällen fehlerhaft, wenn die Gemeinschaftsordnung die Kosten abweichend verteilt.
- Es ging nur um die Kostenverteilung, nicht um die Frage, ob die Gemeinschaft über die Sanierung beschließen darf. Die Beschlusskompetenz bleibt unberührt.
Warum die Entscheidung so relevant ist
In vielen Anlagen finden sich sogenannte „Fenster-“ oder „Balkon-Klauseln“. Das Urteil bringt Klarheit: Die Pflicht zur Instandhaltung und Instandsetzung (und damit zur Kostentragung) deckt sich nicht nur mit später auftretenden Schäden, sondern auch mit anfänglichen Mängeln. Dadurch entfallen oft langwierige Abgrenzungsfragen („war der Mangel schon da oder erst später?“), die Versammlungen lähmen können.
Gemeinschaftseigentum, Sondereigentum, Gemeinschaftsordnung – wie hängt das zusammen?
Fenster sind rechtlich grundsätzlich Gemeinschaftseigentum, denn sie gehören zur Gebäudehülle. Über die Gemeinschaftsordnung können Eigentümer jedoch vereinbaren, dass die Kosten für die Instandhaltung und Instandsetzung bestimmter Teile des Gemeinschaftseigentums (z. B. Fenster) beim einzelnen Eigentümer liegen. Diese abweichende Kostenregel ist wirksam und bindet auch Käufer – sie wird im Grundbuch ersichtlich.
Achtung Kostenfalle beim Kauf
Wer eine Wohnung erwirbt, übernimmt die Regeln der Gemeinschaftsordnung. Ein Blick in Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung vor dem Kaufvertrag ist Pflicht. Sonst kann eine geplante Fassaden- oder Fenstersanierung schnell zum privaten Großprojekt werden.
Was heißt das konkret mit Zahlen?
Ausgangslage: 10.000 € Fenstersanierung, 1.000 MEA gesamt, Sie haben 100 MEA.
A) „Standard“ (Gesetz, § 16 Abs. 2 S. 1 WEG – nach MEA)
- Verteilung: 10.000 € × (100/1.000) = 1.000 € für Sie.
B) Gemeinschaftsordnung-Klausel: „Fensterstöcke, -rahmen, -scheiben“ trägt jeweils der Sondereigentümer (so war’s im Fall)
- Dann zahlt nicht jeder nach MEA, sondern die betroffenen Eigentümer – maßnahmescharf:
- Beispiel B1: Es werden nur Ihre Fenster saniert → Sie zahlen 10.000 € (die Gemeinschaft beschließt/beauftragt, rechnet aber nach Gemeinschaftsordnung mit Ihnen ab).
- Beispiel B2: Es werden Ihre Fenster und die Ihres Nachbarn erneuert, Angebot weist 6.000 € (Sie) + 4.000 € (Nachbar) aus → Sie 6.000 €, Nachbar 4.000 €, alle anderen 0 €.
- Beispiel B3 (Mischmaßnahme): 8.000 € Fenster (Gemeinschaft), plus 2.000 € Fassadenarbeiten (nicht von der Gemeinschafts-Fensterregel erfasst) → 8.000 € nach Gemeinschaftsordnung auf die betroffenen Eigentümer, 2.000 € nach MEA auf alle (Sie: 200 €).
Genau das verlangt der BGH: Den richtigen Schlüssel je Kostenposition anwenden; ein pauschaler MEA-Sonderumlagen-Beschluss ist insoweit ordnungsmäßig falsch.
Im entschiedenen Fall hatte die Versammlung eine Sonderumlage nach MEA von 875.000 € beschlossen, obwohl die Gemeinschaftsordnung Fensterkosten dem jeweiligen Eigentümer zuwies. Das hat der BGH kassiert: MEA-Schlüssel falsch angewandt – man muss Gemeinschaftsgerecht verteilen.
Was Sie jetzt konkret tun sollten
- Gemeinschaftsordnung prüfen: Gibt es eine klare Aufzählung (z. B. „Fensterstöcke, Fensterrahmen, Fensterscheiben“)? Je konkreter, desto eher greift die Kostenpflicht auch bei anfänglichen Mängeln.
- Beschlüsse auf den richtigen Schlüssel prüfen: Wird eine Sonderumlage nach Miteigentumsanteilen erhoben, obwohl die Gemeinschaftsordnung für bestimmte Bauteile eine Eigentümerpflicht vorsieht? Dann kann der Beschluss anfechtbar sein.
- Kaufprüfung schärfen: Vor Erwerb immer Gemeinschaftsordnung, jüngste Protokolle, Wirtschaftsplan und Rücklagenstand sichten. Lassen Sie sich den Wortlaut der Kostenregelungen zeigen.
- Kommunikation in der Versammlung: Weisen Sie frühzeitig auf die abweichende Kostenregel hin, um falsche Umlagebeschlüsse zu vermeiden.
Rechtlicher Hintergrund einfach erklärt
Das Gesetz (§ 16 Abs. 2 WEG) verteilt Kosten am Gemeinschaftseigentum grundsätzlich nach Miteigentumsanteilen. Aber: Die Eigentümer können in der Gemeinschaftsordnung etwas anderes vereinbaren. Sagt die Vereinbarung „Fenster zahlt der jeweilige Eigentümer“, umfasst das laut BGH im Zweifel auch die Beseitigung von Baumängeln von Anfang an.
Abgrenzung & Grenzen der Entscheidung
- Nur Kostenverteilung: Die Gemeinschaft bleibt beschlusskompetent für Sanierungsmaßnahmen. Das Urteil betrifft, wer die Kosten trägt, nicht ob saniert wird.
- Klarheit der Formulierungen: Je präziser die Bauteile in der Gemeinschaftsordnung bezeichnet sind, desto belastbarer ist die abweichende Kostenregel.
- Ohne Sonderregel: Gilt die gesetzliche Verteilung nach Miteigentumsanteilen. Dann sind anfängliche Mängel Gemeinschaftsaufgabe.
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FAQ zum BGH-Urteil V ZR 36/24 – Fenster am Gemeinschaftseigentum & Kosten nach Gemeinschaftsordnung
Weist die Gemeinschaftsordnung (GO) die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung bestimmter Teile des Gemeinschaftseigentums – z. B. Fenster (Rahmen/Scheiben) – dem jeweiligen Sondereigentümer zu, ist eine pauschale Sonderumlage nach Miteigentumsanteilen hierfür falsch. Richtig ist die Verteilung nach GO (nur die betroffenen Eigentümer). Die Gemeinschaft beschließt und beauftragt; Sie tragen die Ihnen zugewiesenen Kosten.
Ja. Erfasst die GO die Instandsetzung „Ihrer“ Fenster, umfasst dies im Zweifel auch anfängliche Mängel. Die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung treffen dann den Sondereigentümer, auch wenn der Mangel von Anfang an bestand.
Fenster bleiben Gemeinschaftseigentum. Eine klare Gemeinschaftsordnung kann jedoch die Kosten für Instandhaltung/Instandsetzung der zu Ihrer Einheit gehörenden Fenster auf Sie verlagern. Das ist zulässig und bindet auch Käufer.
Ja. Die Gemeinschaft bleibt für Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum beschlusskompetent. Das Urteil betrifft die Kostenverteilung, nicht das „Ob“ der Sanierung.
Abweichungen vom Gesetz müssen klar und eindeutig sein. Ist die GO unklar, gilt regelmäßig § 16 Abs. 2 WEG (Verteilung nach Miteigentumsanteilen) – alle Eigentümer tragen die Kosten gemeinsam.
Maßgeblich ist der Wortlaut der GO. Häufig genannt: Fenster (Fensterstöcke, Rahmen, Scheiben), Balkone oder Außentüren. Stehen Bauteile ausdrücklich in der GO, trägt der jeweilige Sondereigentümer die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung.
Entscheidend ist, welche Bauteile die GO dem Sondereigentum kostenmäßig zuweist. Begleitende Arbeiten an der Fassade ändern die Kostenpflicht für die in der GO konkret genannten Fenster-Teile in der Regel nicht.
Für einzelne Maßnahmen kann eine abweichende Verteilung beschlossen werden. Eine klare Gemeinschaftsordnung wird dadurch jedoch nicht generell ersetzt; für eine dauerhafte Änderung braucht es eine Vereinbarungsänderung.
Ja. Bei beschlossener Instandsetzung am Gemeinschaftseigentum ist der subjektive Eindruck unerheblich. Sie müssen die Arbeiten dulden und – bei entsprechender GO-Klausel – die zugewiesenen Kosten tragen.
Rücklagen sind Gemeinschaftsvermögen. Bei klarer GO-Zuweisung sollte nicht pauschal nach MEA aus der Rücklage gezahlt werden. Möglich sind gezielte Beschlüsse, die Belastung nur der betroffenen Sondereigentümer vorzusehen – oder direkte Abrechnung.
Ja. Die Gemeinschaftsordnung ist Bestandteil der Grundbucheintragung und bindet auch Käufer. Prüfen Sie vor dem Erwerb, ob Fenster, Balkone oder andere Bauteile kostenmäßig dem Sondereigentum zugewiesen sind.
Das Urteil regelt die interne Kostenverteilung. Mögliche Mängelansprüche gegen Bauträger/Verkäufer sind gesondert zu prüfen (Verjährung, Anspruchsgegner). Das kann parallel zur GO-Kostenpflicht bestehen.



