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Stellen Sie sich vor: Die Eigentümergemeinschaft entdeckt massive Baumängel am Gemeinschaftseigentum – Risse in der Tiefgarage, undichte Fenster, fehlerhafte Wärmedämmung. Die Verjährung droht, also muss schnell gehandelt werden. Die Verwalterin schaltet zügig Gutachter ein und wendet sich an eine Kanzlei, die bereits im Thema steckt. Doch: Einige Eigentümer ärgern sich, dass keine drei Angebote eingeholt wurden. Sie fechten den Beschluss an – mit dem Argument, man hätte ja erst einmal Preise vergleichen müssen.
Genau dazu hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 18. Juli 2025 (Az. V ZR 76/24) eine klare Antwort gegeben: Nein, eine Eigentümergemeinschaft ist nicht verpflichtet, vor der Beauftragung eines Rechtsanwalts oder Gutachters Vergleichsangebote einzuholen.
Worum ging es im Fall?
Eine Bauträgerin war selbst Mitglied der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Als Verwalterin beauftragte sie 2021 mehrere Gutachter mit der Untersuchung von Baumängeln. Die Kosten: fast 50.000 Euro. Außerdem wurde eine Anwaltskanzlei eingeschaltet.
Ein Beschluss der Eigentümer lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor – die Verwalterin handelte eigenmächtig, weil die Verjährung drohte. Später stimmten die Eigentümer auf der Eigentümerversammlung den bereits beauftragten Gutachten und den Anwaltskosten zu. Zusätzlich beschlossen sie, die Kanzlei auch offiziell mit der Durchsetzung der Mängelansprüche zu beauftragen.
Eine Eigentümerin klagte und bekam vor dem Landgericht zunächst Recht. Begründung: Ohne Alternativangebote sei die Beauftragung nicht ordnungsgemäß gewesen.
Die Kernaussagen des BGH
Der BGH hob die Entscheidung des Landgerichts auf und stellte klar:
- Keine Pflicht zu Vergleichsangeboten bei Anwälten
Anders als bei Handwerkern oder Bauunternehmen macht ein Angebotsvergleich bei Anwälten keinen Sinn.- Anwälte rechnen entweder nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) oder nach Stundensätzen ab.
- Die Höhe der Gesamtkosten hängt stark vom Verlauf des Verfahrens ab (außergerichtliche Einigung vs. mehrere Instanzen).
- Wichtiger als der Preis ist die Kompetenz, die Erfahrung und das Vertrauen in den Anwalt.
Deshalb dürfen Eigentümer einen Anwalt auswählen, ohne vorher drei Angebote einzuholen.
- Das gilt auch für Gutachter
Auch bei Sachverständigen bringt ein Angebotsvergleich wenig. Entscheidend ist, dass sie fachlich geeignet sind und die Kosten im Verhältnis zur Schadenssumme stehen. - Nachträgliche Genehmigung ist möglich
Handelt der Verwalter ohne Beschluss – etwa weil Eile geboten ist – können die Eigentümer das später genehmigen.
Voraussetzung: Die Maßnahme selbst entspricht ordnungsgemäßer Verwaltung. - Hohe Stundensätze sind nicht automatisch unwirtschaftlich
Im konkreten Fall sollten 300 € pro Anwalt und 150 € pro Sekretariatstunde gezahlt werden. Das sei nicht zu beanstanden, weil es um einen komplexen Fall mit hohem Streitwert (knapp 500.000 €) ging und die Kanzlei bereits eingearbeitet war.
Warum diese Entscheidung wichtig ist
Bislang gab es Unsicherheit: Manche Gerichte und Fachautoren verlangten Vergleichsangebote auch bei Anwälten. Der BGH hat diese Diskussion nun beendet. Für Eigentümer bedeutet das mehr Handlungsspielraum – besonders in zeitkritischen Situationen. Niemand muss Angst haben, dass ein Beschluss allein deshalb angefochten wird, weil nicht mehrere Kanzleien gefragt wurden.
Was heißt das für die Praxis?
- Vertrauen zählt: Bei Anwälten und Gutachtern darf die Eigentümerversammlung auf Kompetenz und persönliche Einschätzung setzen, statt auf den billigsten Preis.
- Eile rechtfertigt schnelles Handeln: Droht Verjährung oder geht es um dringende Mängel, kann die Verwaltung sofort tätig werden. Die Eigentümer können das später beschließen.
- Kosten im Blick behalten: Auch wenn Vergleichsangebote nicht Pflicht sind – die Eigentümer müssen trotzdem wirtschaftlich handeln. Überzogene Honorare oder unnötige Aufträge wären nicht zulässig.
- Beschlüsse klar fassen: Auch wenn die Verwalterin eigenmächtig gehandelt hat, sorgt eine nachträgliche Genehmigung für Rechtssicherheit.
Ein Blick ins Urteil
Der BGH formulierte sinngemäß:
- „Die Wahl des Rechtsanwalts ist Vertrauenssache. Ein Preisvergleich hilft nicht, weil man Qualität und Ergebnis nicht vorhersehen kann.“
- „Wenn eine Maßnahme auch von vornherein ordnungsgemäß gewesen wäre, können die Eigentümer sie auch nachträglich genehmigen.“
Fazit: Das Urteil bringt Klarheit: Eigentümergemeinschaften müssen keine Vergleichsangebote einholen, wenn sie Anwälte oder Gutachter beauftragen. Die Entscheidung stärkt die Handlungsfähigkeit und verhindert überflüssige Bürokratie.
Für Eigentümer ist wichtig: Vertrauen Sie auf fachliche Kompetenz und prüfen Sie die Wirtschaftlichkeit – aber lassen Sie sich nicht von Formalien lähmen.
(BGH, Urteil v. 18.7.2025, V ZR 76/24)