Angelegenheiten der Wohnungseigentümer werden durch Beschlüsse in der Eigentümerversammlung geregelt. Doch was passiert, wenn ein Beschluss aus Sicht eines Eigentümers rechtswidrig ist?
In diesem Fall ist zu prüfen, ob der Beschluss nichtig ist – also von Anfang an unwirksam – oder lediglich rechtswidrig, aber wirksam, und daher anzufechten. Für Eigentümer ist diese Unterscheidung entscheidend, da die rechtlichen Folgen grundverschieden sind.
👉 Anfechtbare Beschlüsse müssen fristgerecht gerichtlich angegriffen werden (§ 45 WEG).
👉 Nichtige Beschlüsse hingegen können jederzeit für unwirksam erklärt werden (§ 23 Abs. 4 WEG).
🟦 Der anfechtbare (ungültige) Beschluss
Anfechtbare Beschlüsse sind wirksam gefasst, verstoßen aber gegen Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes, die Teilungserklärung oder gegen Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung.
Ein solcher Beschluss muss innerhalb eines Monats ab dem Tag der Beschlussfassung durch Klage (§ 45 Abs. 1 WEG) beim zuständigen Amtsgericht angefochten werden. Erfolgt keine fristgerechte Anfechtung, wird der Beschluss rechts- und bestandskräftig – selbst wenn er rechtswidrig war.
Hinweis: Bis zur gerichtlichen Entscheidung bleibt der Beschluss „schwebend wirksam“. Die Verwaltung darf ihn grundsätzlich umsetzen, es sei denn, eine einstweilige Anordnung (§ 44 Abs. 4 WEG) wurde beantragt und bewilligt.
✅ Beispiele für anfechtbare (rechtswidrige) Beschlüsse:
-
Die Einladung zur Eigentümerversammlung war fehlerhaft (z. B. verspätet oder unvollständig).
-
Tagesordnungspunkte wurden unzureichend oder gar nicht angekündigt.
-
Abstimmungen wurden zu Themen durchgeführt, die nicht auf der Tagesordnung standen.
-
Die Gemeinschaftsordnung wurde missachtet.
-
Es wurden unzulässige Gebrauchsregelungen getroffen.
-
Es erfolgte eine fehlerhafte Stimmauszählung.
-
Die Jahresabrechnung enthielt Fehler, aber keine gravierenden Rechtsverstöße.
🟦 Was ist ein nichtiger Beschluss?
Ein Beschluss ist nichtig, wenn er gegen zwingende gesetzliche Vorschriften oder die Vereinbarungen in der Teilungserklärung verstößt – und zwar so gravierend, dass er von Anfang an als unwirksam gilt. Er muss nicht angefochten werden und kann jederzeit gerichtlich für nichtig erklärt werden.
👉 Die gesetzliche Grundlage liefert § 23 Abs. 4 WEG:
„Ein Beschluss ist nichtig, wenn er gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, von der nicht durch Beschluss abgewichen werden kann.“
Nichtige Beschlüsse entfalten keine Rechtswirkung – sie gelten als „von vornherein nicht existent“.
Ein Gericht prüft die Nichtigkeit übrigens auch ohne Antrag, wenn eine Anfechtungsklage erhoben wurde (vgl. BGH NJW 2003, 3550).
🟦 Wann liegt Nichtigkeit vor?
Typische Fälle, in denen ein Beschluss nichtig ist:
-
Wenn er unzulässigerweise in Sondereigentum oder Persönlichkeitsrechte eingreift
-
Wenn er inhaltlich widersprüchlich, unbestimmt oder praktisch undurchführbar ist
-
Wenn er gegen das Gesetz oder die zwingenden Regelungen der Gemeinschaftsordnung verstößt
👉 Keine Anfechtung nötig – die Nichtigkeit kann auch Jahre später noch geltend gemacht werden.
🔹 Beispiele zu nichtigen Beschlüssen
-
Änderung des Sondereigentums
Die Eigentümerversammlung beschließt, dass Wohnungseingangstüren ab sofort zum Sondereigentum gehören und von jedem Eigentümer selbst zu reparieren sind.
Problem: Wohnungseingangstüren sind zwingend Gemeinschaftseigentum (§ 5 Abs. 2 WEG) – eine solche Änderung ist nur durch Vereinbarung zulässig, nicht durch Mehrheitsbeschluss. -
Einräumung von Sondernutzungsrechten
Der große Gemeinschaftsgarten wird durch Mehrheitsbeschluss den Erdgeschosseigentümern zur alleinigen Nutzung überlassen.
Problem: Sondernutzungsrechte können nur durch Vereinbarung eingeräumt werden (§ 15 WEG), nicht per Mehrheitsbeschluss. -
Auflösung der Eigentümergemeinschaft
Weil teure Sanierungen anstehen, beschließt die Gemeinschaft, sich aufzulösen und das Objekt zu verkaufen.
Problem: Die Gemeinschaft kann sich nicht selbst auflösen – das widerspricht dem Grundprinzip des WEG. -
Unzulässige Verweigerung der Veräußerungszustimmung
Herr Meier will seine Wohnung an eine Familie mit drei Kindern verkaufen. Die Miteigentümer verweigern die Zustimmung wegen „erwarteter Lärmbelästigung“.
Problem: Eine Zustimmung darf nur aus wichtigem Grund verweigert werden (§ 12 Abs. 2 WEG) – Kinderlärm gehört nicht dazu (vgl. BGH, Urteil vom 11.06.2010 – V ZR 174/09). -
Verletzung der Gleichbehandlungspflicht
Die Pflege der gemeinschaftlichen Flächen wird einzelnen Eigentümern durch Mehrheitsbeschluss auferlegt – reihum.
Problem: Eine solche Verpflichtung geht über das Maß hinaus, das durch Beschluss festgelegt werden darf. Sie verletzt das Gebot der Gleichbehandlung (§ 14 WEG).
🟦 Ergänzende Beispiele aus der Rechtsprechung (BGH & LG)
-
LG Berlin, Urteil vom 11.10.2012 – 55 S 52/12 WEG:
Nichtigkeit eines Beschlusses über Verlegung und Dezentralisierung des Müllstandsplatzes – wegen Widersprüchlichkeit und Unbestimmtheit. -
BGH, Urteil vom 10.03.2023 – V ZR 81/22:
Jahresabrechnung ohne Angabe der Abrechnungsspitze = nichtig. Begründung: WEG kann die gesetzliche Sollstruktur nicht durch Beschluss aushebeln. -
BGH, Urteil vom 20.10.2023 – V ZR 89/22:
Der Entzug eines Sondernutzungsrechts durch Beschluss ist nichtig – es fehlt an der Beschlusskompetenz.
🟦 Wie erkenne ich, ob ein Beschluss nichtig oder nur rechtswidrig ist?
Diese Frage ist in der Praxis nicht immer leicht zu beantworten – oder wie ein Kollege süffisant meinte:
„Das sagt der Eigentümergemeinschaft und der Hausverwaltung spätestens der Amtsrichter.“
Es gibt jedoch klare Hinweise, anhand derer Sie als Eigentümer vorab selbst besser einschätzen können, ob ein Beschluss nichtig oder „nur“ anfechtbar ist:
🔍 Prüfen Sie insbesondere:
-
Verstößt der Beschluss gegen zwingendes Recht?
→ ➤ Nichtig, keine Frist – jederzeit angreifbar -
Wurden Formvorschriften verletzt, aber inhaltlich wäre der Beschluss erlaubt?
→ ➤ Anfechtbar, nur mit Klage binnen 1 Monat -
Wird ein Eigentümer einseitig stärker belastet als andere – ohne sachlichen Grund?
→ ➤ Je nach Schwere entweder anfechtbar oder nichtig
📝 Beherzigen Sie daher:
-
Studieren Sie die Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung und respektieren Sie deren Regelungen.
-
Die Beschlusskompetenz der Eigentümergemeinschaft bezieht sich ausschließlich auf die ordnungsgemäße Verwaltung des Gemeinschaftseigentums.
-
Nötigen Sie keinem Eigentümer Verpflichtungen außerhalb der gesetzlich geregelten Kosten- und Lastenverteilung auf.
-
Achten Sie auf Gleichbehandlung aller Eigentümer – Ausnahmen bedürfen triftiger Gründe oder Zustimmung aller.
🟦 Checkliste: Beschlussanfechtung – was ist zu beachten?
🔹 Was kann angefochten werden?
→ Grundsätzlich jeder Beschluss – selbst unscheinbare Punkte auf der Tagesordnung.
🔹 Wer darf anfechten?
→ Jeder Wohnungseigentümer – und auch der Verwalter (§ 45 Abs. 1 WEG).
🔹 Wie lange habe ich Zeit?
→ Genau 1 Monat ab Beschlussfassung (§ 45 Abs. 1 WEG).
🔹 Muss ich einen Anwalt beauftragen?
→ In der ersten Instanz nicht zwingend, aber dringend empfohlen.
🔹 Wie und wo wird die Anfechtung erklärt?
→ Per Klage beim Amtsgericht, schriftlich.
🔹 Was passiert bis zum Urteil?
→ Der Beschluss bleibt schwebend wirksam. Die Verwaltung kann handeln – aber auf eigenes Risiko.
❗ Wichtig: Eine Anfechtung gegenüber der Verwaltung (z. B. per E-Mail oder Brief) hat keine rechtliche Wirkung. Nur die Klage zählt.
🟦 Warum besteht ein Haftungsrisiko?
Ein Beschluss ist bis zu seiner Aufhebung durch das Gericht wirksam, auch wenn er rechtswidrig und angefochten ist.
Der Verwalter ist verpflichtet, ihn grundsätzlich umzusetzen – steht aber zwischen den Stühlen, wenn der Beschluss später aufgehoben wird.
👉 Das Problem:
Setzt der Verwalter einen angefochtenen Beschluss um, der später für ungültig erklärt wird, kann er gegenüber der Gemeinschaft haftbar gemacht werden – insbesondere bei finanziellen Schäden oder irreversiblen Maßnahmen (z. B. Sanierung, Kündigung, Umverteilung).
🔍 Beispiele aus der Praxis:
1. Jahresabrechnung / Nachzahlung
Eine Nachzahlung wird auf Grundlage eines angefochtenen Abrechnungsbeschlusses eingefordert.
➤ Wird der Beschluss später aufgehoben, muss das Geld ggf. zurückgezahlt werden – der Verwalter haftet womöglich für falsche Umsetzung.
2. Sanierung
Die Eigentümerversammlung beschließt eine aufwendige Fassadensanierung. Die Maßnahme wird begonnen – obwohl bereits eine Anfechtung anhängig ist.
➤ Wird der Beschluss aufgehoben, drohen Schadensersatzforderungen gegen die Verwaltung.
🛡️ Was sollte der Verwalter tun?
Der Verwalter hat zwei Möglichkeiten, um sich abzusichern:
🔹 1. Schriftliche Zustimmung der Eigentümer einholen:
„Die Gemeinschaft wünscht ausdrücklich die Durchführung des Beschlusses XY trotz anhängiger Anfechtung.“
🔹 2. Aussetzung der Durchführung:
„Die Durchführung des Beschlusses wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Anfechtungsverfahren ausgesetzt.“
📄 Musterformulierung für Eigentümerbeschluss zur Absicherung:
„Die Durchführung des Beschlusses Nr. [XY] vom [Datum] wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die anhängige Anfechtungsklage ausgesetzt. Der Verwalter wird ermächtigt, ggf. eine einstweilige Anordnung zu beantragen oder aufschiebend zu handeln.“
💡 Diesen Beschluss kann man direkt in der Eigentümerversammlung fassen oder bei erwarteter Anfechtung zur Abstimmung stellen.
📌 Fazit: Der Verwalter steht in einer rechtlich heiklen Position: Er muss den Willen der Gemeinschaft umsetzen – darf aber keine rechtlichen Risiken eingehen. Eigentümer sollten ihn daher durch klare Beschlüsse entlasten, wenn eine gerichtliche Überprüfung noch aussteht.
FAQ zu Beschlüssen in der Eigentümerversammlung
Anfechtbare Beschlüsse sind zunächst wirksam und müssen innerhalb eines Monats ab Beschlussfassung gerichtlich angefochten werden (§ 45 WEG). Nichtige Beschlüsse sind von Anfang an unwirksam. Sie entfalten keine Rechtswirkung und können jederzeit gerichtlich festgestellt werden (§ 23 Abs. 4 WEG).
Die Anfechtungsfrist beträgt genau einen Monat ab dem Tag der Eigentümerversammlung (§ 45 Abs. 1 WEG). Die Klage muss beim zuständigen Amtsgericht eingehen – eine Mitteilung an die Hausverwaltung genügt nicht.
Das Gericht prüft die vorgetragenen Beanstandungen, z. B. formelle Mängel bei Einladung oder Tagesordnung, aber auch inhaltliche Verstöße wie fehlerhafte Kostenverteilung. Darüber hinaus wird immer auch geprüft, ob ein Beschluss nichtig ist – selbst wenn nur seine Ungültigkeit beantragt wurde.
Der Beschluss bleibt bis zur gerichtlichen Entscheidung wirksam. Wird er später aufgehoben, drohen Rückabwicklungen oder sogar Schadensersatzforderungen. Der Verwalter kann sich durch einen Beschluss absichern, der die Durchführung ausdrücklich erlaubt oder aussetzt.
Ja, aber nur wenn der Beschluss außerhalb der Versammlung tatsächlich zustande gekommen ist und dabei die einstimmige Zustimmung aller Eigentümer fehlt (§ 23 Abs. 3 WEG). Solche Beschlüsse sind oft nichtig.
Quiz: Testen Sie Ihr Wissen und setzen Sie Ihre Jetons!